01.04.2019 11:33

Erfahrungsbericht zum «Sesshin zwischen den Jahren» mit Niklaus Brantschen

Es lohnt sich, die Schwellenangst zu überwinden

Zen-Erfahrung hatte ich als Langzeitgast im Lassalle Haus aus den Zen-Meditationen, die dreimal die Woche angeboten werden, bevor ich mich zum «Sesshin zwischen den Jahren» bei Niklaus Brantschen anmeldete. Auf einer Reise durch Indien und Nepal nahm ich vor Jahren an einer Vipassana-Meditation teil – zehn Stunden am Tag sitzen, zehn Tage lang, dazwischen höchstens etwas spazieren, sonst nichts. Das war sehr hart, eigentlich schon grenzwertig, vor allem, weil man da viel auf sich allein gestellt war und es wenig Begleitung gab. Nach dieser Erfahrung dachte ich, ich könnte mich nicht so schnell wieder zu einer so intensiven Meditationserfahrung im Sitzen entschliessen.

Schwellenangst

Als ich für einen längeren Aufenthalt ins Lassalle-Haus kam, war ich noch unentschlossen, ob ich eher den Kontemplations- oder den Zen-Weg einschlagen möchte. Ich merkte zwar, dass mir die Vorstellung vom «Nichts» entspricht. Aber ein Sesshin? Auf gar keinen Fall – schliesslich bin ich unter anderem in Ausbildung zur Tanztherapeutin und bin gewohnt, die Körpersignale ernst zu nehmen. Diese sollte man hingegen bei der Zen-Meditation beobachten lernen. Dann kam das Jahresende, und das einwöchige «Sesshin zwischen den Jahren» lockte – ich war schon sehr fasziniert und hätte auch gern das Neujahrs-Ritual miterlebt. Auch hatte ich eine grosse Sehnsucht nach Stille. Im Gespräch mit Niklaus Brantschen, dem Zen-Meister und Kursleiter, erkannte dieser: «Du hast Schwellenangst» und bot mir an, ich solle die ersten 24 Stunden mitmachen und dann entscheiden.

Viele Dimensionen der Stille

Mit diesem Angebot im Hinterkopf stieg ich ins Sesshin ein, doch mir wurde sehr schnell klar: keine Frage, ich bleibe. Es war eine grosse Gruppe mit 46 Teilnehmenden, und ich habe gespürt, wie mich die Gruppe mittrug: die Ruhe, die herrschte, war ansteckend. Auch die vier Assistenten trugen viel dazu bei, einen guten und sicheren Rahmen zu gestalten. So kam ich in eine immer tiefere Ruhe hinein, die Stille hat mich geführt.

Die Phasen oder Stufen auf dem Weg zur Stille halfen mir beim Verstehen, was da bei mir passiert: Stille suchen, Stille ertragen, Stille geniessen, Stille lassen und Stille sein – so erzählte es uns Niklaus Brantschen im täglichen Vortrag, dem Teisho. Bei mir kamen diese verschiedenen Stille-Qualitäten in Wellen: Ich konnte schon am ersten Tag die Stille auch immer wieder geniessen, und das erleichterte mir den Entscheid, im Sesshin zu bleiben.

Am dritten Tag hatte ich eine kleine Krise, ich spürte Widerstände in mir – doch in der Stille kommt häufig etwas ans Licht, was vorher noch im Nebel lag. Dann ist es an der Zeit, sich dem zu stellen. Und immer wieder zum Atem zurückzukehren – immer wieder neu.

Da war der Rat einer Teilnehmerin nützlich: «Bleibe mit den Gedanken im Jetzt, nur in der aktuellen Meditations-Einheit». Wenn man sich vorstellt, ach, noch fünf Einheiten sitzen, erst dann gibt es eine Pause, dann wird es schwierig. Aber 25 Minuten gehen immer.

Schlichte Rituale, tiefer Frieden

Eindrücklich war die Schlichtheit und gleichzeitig die Schönheit, wie wir das Neujahr gefeiert haben: Nach japanischer Tradition erklingt der Gong am 31.12. um Mitternacht mit 108 Schlägen – mit dem Gehen im Dunkeln ein sehr bewegendes Ritual, in dem die Verbundenheit zum Ausdruck kommt und der interreligiöse Dialog mit den Kirchenglockenklängen, die danach ertönen, zum Greifen nah ist.

In diesen sieben Tagen habe ich ein neues Level von Ruhe und Zufriedenheit erfahren, ein innerer Frieden, ein grosses Vertrauen. Ich fühlte mich gut aufgehoben und begleitet, und hatte durchgehend das Gefühl «es kann nichts passieren». Es war eine Gotteserfahrung. Und das, obwohl im Zen das «Nichts» im Zentrum steht. Das Nichts ist gleichzeitig eine grosse Fülle – es liegt alles darin.
In den täglichen Gottesdiensten stellte uns Niklaus Brantschen die Engelsbilder von Paul Klee vor, das waren wunderbare Inputs. Geblieben ist mir die Weisheit, wir sollten weniger ängstlich planen, sondern mit leeren Händen und offenen Herzen ins Leben schauen. Oder, wie Niklaus ein anderes Mal sagte: «Weniger rudern, mehr segeln!».
Das Gefühl von Vertrauen hat mich auch in den Wochen nach dem Sesshin begleitet, als ich mich um eine neuen Stelle bewarb und überhaupt einige Weichen neu stellte in meinem Leben. Und ja, es kam gut.

Und somit sind wir auch bei den letzten beiden Phasen des Stille-Weges angekommen: Stille lassen und Stille sein. Denn ich muss den Berg auch wieder hinunter gehen. Stille erfahren heisst, sie auch wieder zu lassen und sie im Alltag zu erproben. Wahre innere Stille zeigt sich im Trubel des Alltags. Und das gilt es immer wieder zu üben und sich Stille-Zeit einzuplanen. Dieser Weg beginnt für mich jetzt, denn man ist erst im Lassalle Haus gewesen, wenn man wieder draussen ist... und man hat erst Stille erfahren, wenn man sie mit der Welt teilen kann.

Auf ins Abenteuer Leben!

Meine Empfehlung an alle, die noch etwas Respekt vor einem Sesshin haben? Nicht viel denken, sondern einfach ausprobieren, es Schritt für Schritt angehen. Ein bisschen Schwellenangst ist normal. Doch es lohnt sich, diese zu überwinden.

Melanie K.

Die nächsten Sesshin im Lassalle-Haus

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