13.10.2016 11:49

Fasten

Fasten zu den vier Jahreszeiten

Die Neulancierung des Fastens im Lassalle-Haus fand grossen Anklang. Der erste Kurs im Frühherbst war ausgebucht, und die positiven Rückmeldungen der 40 Teilnehmenden stimmen uns hoffungsvoll für die neue Reihe „Lassalle-Fastenwochen – Aus Liebe zum Leben“, die wir ab 8. Januar 2017 mit dem Winterfasten fortsetzen.

Unter den Kursbesuchern waren einige, die erstmals im Leben fasteten und nebst Aufbruchgefühlen auch mit bangen Gedanken anreisten. Würden sie durchhalten und tatsächlich eine Woche lang auf feste Nahrung verzichten können? Würde auch bei ihnen eintreffen, wovon Fastenerprobte enthusiastisch berichten – würden sie abschalten und Stress abbauen können, sensibler, durchlässiger werden, gar dem Sinn des eigenen Leben besser auf die Spur kommen?

Ursula Eichenberger (48) war in der ersten Woche des Lassalle-Herbstfastens dabei. Im Folgenden berichtet die Autorin aus Zürich von ihren Erfahrungen als Erstfasterin.

„Ich kenne das Lassalle-Haus, die Stille, die Einfachheit, die Klarheit der Architektur. Die Atmosphäre empfinde ich als sehr wohltuend und dachte, dass müsse ein guter Boden sein für eine Fastenwoche.

Und ja, so war es: Ich bezog das Zimmer, schaute um mich, ein frisch bezogenes Bett in Hellgelb, ein Stuhl, ein Pult – nichts lenkte ab, nicht einmal ein Blüemli im Zimmer. Welche Wohltat. Ich blickte in die spätsommerliche Hügellandschaft von Bad Schönbrunn, schloss das Fenster, schloss gleichsam auch meinen bunten Lebensfächer. Dann das erste Treffen mit der Fastengruppe. Eigentlich bin ich kein Gruppenmensch, und hier sollte ich mich nun mit einer Grossgruppe arrangieren, 40 Fastende, Junge, Ältere, Fastenerprobte, Neulinge, jeder und jede mit einer eigenen Geschichte. Wie nur sollte das gehen? Wir wechselten zu Beginn einige Worte, danach schwiegen wir weitgehend – von Tag zu Tag auch dies eine grössere Wohltat. Für einmal nichts sagen, nichts kommentieren, nichts finden müssen. Schweigend ein Glas Kräutertee trinken, gemeinsam und doch allein. Die Wärme spüren, die sich im Körper ausbreitet, den Geschmack des Krauts in der Nase, nur damit beschäftigt, was unmittelbar geschieht. Wir fanden schnell zu einer Einheit, hörten auf, uns gegenseitig zu beobachten, richteten den Blick nach innen, auch dann, wenn wir im Gänsemarsch zur nächsten Kapelle, zu den nächsten Hügeln unterwegs waren. Ein paar Freiheitsvögel, zu denen ich mich ebenfalls zählte, wollten zur Abwechslung allein losmarschieren. Es war nicht halb so stimmig. Schnell fanden wir wieder zusammen und tauchten ein in die Kraft des vielbeinigen Tatzelwurms.

Die Tage waren durchstrukturiert. Auch da hatte ich meine Vorbehalte – ich kann mich selber bestens organisieren. Doch der Wechsel von Bewegung an der frischen Luft, Meditation und wohldosierten Vorträgen erwies sich als ausserordentlich hilfreich und die angeleiteten Körperübungen als wahre Wohltat. Genau gesagt wars ein Shibashi Qi Gong, einfache, asiatische Entspannungsübungen, jede Übung trägt einen poetischen Titel. Die fliessenden Bewegungen zentrieren Geist und Seele und sind für den Körper ein Hochgenuss vom Scheitel bis zur Sohle.

Und nein, ich hatte keinen Hunger, kein einziges Mal. Das hat mich am meisten überrascht, ich esse und koche gern. Ab und an hatte ich ein Reissen nach Salz. Hätte ich irgendwo einen Bouillonwürfel entdeckt – ich hätte ihn wohl unverzüglich in heissem Wasser aufgelöst und die Brühe in einem Zug geleert.

Wir können uns erlauben, solche Auszeiten einzuschalten. Millionen von Menschen haben diese Wahl nicht und leiden unter Hunger. Dieser Solidaritätsgedanke begleitete uns durch die ganze Woche. Es gab Momente, in denen die Ambivalenz dessen, was wir freiwillig taten, schwer zu ertragen war. Vor allem in den Augenblicken, in denen die besondere Klarheit, Stärke und Durchlässigkeit des vorübergehenden Nichtessens und Nichtverdauens spürbar wurde. Während in anderen Breitengraden Menschen an Hunger sterben, wird uns Wohlgenährten über den vorübergehenden freiwilligen Verzicht auf Nahrung Kraft geschenkt.

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