05.06.2015 09:47

Achtsamkeit und Zen: der direkte Weg zum Herz-Geist

Seit Anfang Jahr bin ich Zen-Lehrerin im Lassalle-Haus. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der MBSR-Lehrgänge kennen mich aber bereits länger. Heute möchte ich die zwei Themen Zen und Achtsamkeit aufgreifen und erzählen, welch grossen Einfluss die Achtsamkeitsmeditation, die ich erstmals 1992 kennenlernte, bis heute auf meine Zenpraxis hat.

Ich hatte 1979 damit begonnen, Zen in einem traditionellen japanischen Zentrum zu praktizieren. Bei meinem Einstieg handelte es sich um eine «learning-by-doing»-Unterweisung. Gut daran war, dass ich ein grosses Vertrauen in das eigene Durchhaltevermögen entwickelte. Zugleich beobachtete ich aber auch, dass diese Methode für viele Anfänger einfach zu hart war. Drei mal 45 Minuten zu sitzen, ohne Anleitung, und angeschrien zu werden, wenn man auch nur die Augenbrauen bewegte – das schreckte doch viele Suchende ab. Ich selbst war auf den Strassen der Bronx aufgewachsen und war daher hart im Nehmen. Für meinen Körper war das bewegungslose Sitzen eine Katastrophe, doch auch das steckte ich weg.

Als ich 16 war, erkrankte mein Vater schwer, und drei Jahre später meine Mutter. Ich musste mich um beide kümmern. Das hiess für mich, weiterhin stark sein zu müssen. Für empfindsame Gefühle war da kein Platz. Mein Zorn half mir, auch das zu überstehen, denn er versorgte mich mit jeder Menge Energie. Als ich dann zum Studium an die Universität ging, schulte ich meinen Intellekt darin, durch akademische Forschungen Gefühle von mir fernzuhalten.

Und schliesslich benutzte ich auch die Zenpraxis als eine Art «spirituelle Umleitung». «Spirituelles Bypassing»: so nannte der Psychologe John Welwood eine Meditationspraxis, die dazu diente, emotional dicht zu machen. Ich war in meinem Intellekt zuhause, doch gestattete ich mir kaum, etwas zu fühlen. Meine unterdrückten Gefühle entluden sich immer wieder in Wutanfällen, unter denen meine Familie und ich gleichermassen litten.

Erst die Achtsamkeitsmeditation lehrte mich mittels klarer Anweisungen, meine Gefühle wahrzunehmen, ohne sie auszuagieren. Ich begann zu verstehen, was es heisst, mit sich selbst befreundet zu sein. In meiner Ausbildung zur MBSR-Achtsamkeitslehrerin waren die Übungen zur Wahrnehmung meiner Gedanken und Gefühle von unschätzbarem Wert. Die Achtsamkeitspraxis trug auch ganz entscheidend dazu bei, dass mich die Arbeit mit Koans innerlich öffnete.

Ich sehe in der Achtsamkeitspraxis eine Methode, die Weisheit und Mitgefühl «zenmässig» miteinander verbindet: Ein Weg direkt zum Herz-Geist. Zen ist meine Heimat. Und die Achtsamkeitspraxis hilft mir dabei, immer wieder heimzukehren.

Dr. Linda Myoki Lehrhaupt, Sensei

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