09.01.2013 15:30

Reduziere auf das Maximum - Zen und Leibübungen

Zen-Meditation

„Reduce to the Max!“ so lautete vor ein paar Jahren ein genialer Slogan für den kleinsten Serienwagen. „Reduziere auf das Maximum!“ das wäre auch ein passender Titel für den Kurs „Zen und Leibübungen“. Unmittelbar vor Weihnachten setzten rund 40 Menschen diese Einladung in die Tat um. „Reduce to the Max“, das bedeutet bei der Zenmeditation, das oft so schnelle und komplexe Leben auf ein paar urmenschliche Vollzüge zu reduzieren.

  • Eben noch in der Hektik des Alltags rasch auf den nächsten Zug aufspringen - wird zu Schritt um Schritt um Schritt – absichtsloses Gehen um des Gehens willen im sogenannten Kinhin (meditatives Gehen zwischen den Meditationseinheiten).
  • Im Flughafenterminal genervt herumsitzen, um auf das verspätete Flugzeug zu warten - wird zum stillen Sitzen in Stille, auf nichts wartend, nichts erwartend. Buchstäblich stundenlang auf nichts warten – und das ist nicht einmal langweilig!
  • Ausser Atem gerade noch rechtzeitig den Bus erreichend, wird zur reinen Präsenz im jeweiligen Atemzug während des Meditierens.

Nicht, dass das Leben vor dem Meditationsraum stehen bleibt und ich nur meinen gelassenen Geist in die Meditation mitnehmen könnte, aber hier ist Platz, aussen und innen. Niemand macht ihn mir streitig und der eigene Geist erfährt: da ist auch Platz für die verdrehtesten und peinlichsten Gedanken. Nichts muss ich draussen lassen. Der Unterschied zum Alltag: ich muss die Gedanken nicht aktiv denken, mich nicht mit ihnen identifizieren, sie nicht weiterdenken und schon gar nicht zu Ende denken. Die Gedanken bleiben ohne den Denker.
Oder wie es der“ Nichtnurkinderbuchbär“ Winnie the Pooh macht: „Pooh sass noch ein bisschen länger in seinem Stuhl, ganz wach, Grosse Gedanken denkend über Nichts.“
Dieser Zeitraum gibt mir Gelegenheit, auch meinen Leib bewusster wahrzunehmen. Ganz besonders bei den morgendlichen Leibübungen. Sie sind nicht gedacht als Fitnessprogramm. Auch geht es – obwohl das unweigerlich geschieht – nicht letztlich um Entspannung, sondern einfach darum, präsent zu sein im Leib und als Leib. Dabei höre ich seine manchmal sehr sanfte, aber glasklare Botschaft: „Mein lieber Freund, merkst du es? Nicht nur was um dich herum lebt ist vergänglich, nicht nur die dir vertrauten Menschen werden älter, auch du selbst bist unbeständig.“ Und ich lasse mich von meinem Leib freundlich daran erinnern und freue mich ganz neu über das, was mir (noch) möglich ist an Bewegung, Dehnung und Entspannung. Auch hier ist jede Bewegung absichts- aber nicht sinnlos und nicht sinnenlos.
Je länger je mehr erfahre ich: Spiritualität und Leiblichkeit gehören zusammen, sind eins. Wie es ein alter Christ sagte: Die Sehnsucht Gottes ist der lebendige Mensch! Und das fühle ich mich, lebendig. Erstaunlicherweise gerade dort, wo ich bereit bin das Meiste von dem, was mir im Alltag so unabdingbar scheint, loszulassen. Einfachheit ist eben nicht Verzicht, sondern ersehnte Notwendigkeit in einer Kultur, die sich so sehr über das Mehr, Besser und Schneller definiert. Gerade in der Adventszeit wird das so spürbar. Aus „Happy Christmas“ wird „Happy Shopping!“ und „ I shop, therefore I am.“ Hier erfahre ich: ich sitze, also bin ich, ich atme, also bin ich. Und trotzdem ist unser ganzes Wirtschaftssystem auf Mehr, Besser, Schneller gegründet. Und dann wundern wir uns, warum es vielen, denen es gut geht, so schlecht geht. Das Mehr kommt nie ans Ziel, sieht nur was fehlt, bleibt immer unzufrieden.

Und wenn ich dann zwischendurch denke: Was für einen Tag haben wir? Dann höre ich Poohs Freund, Piglet, das Schweinchen, sagen. „Heute!“ worauf Pooh freudig antwortet: „Oh, das trifft sich gut, denn „heute“ ist mein Lieblingstag!“ Alles da, nichts fehlt.

Dieses Heute der stillen Zentage ist inzwischen zum Gestern geworden und längst bin ich wieder im Alltag. Was klingt nach? Erstaunlicherweise zwei sehr unterschiedliche Töne: Der eine, ein Ton tiefer Müdigkeit, wie er sich immer wieder einmal zeigt, wenn das Jahresende erreicht ist und damit die Kurse abgeschlossen sind: Geschafft! Hab ich’s und bin ich auch. Dazu gesellt sich manchmal ein zweifelnde Stimme: „Wie das, wo du doch sozusagen das ganze Jahr über einfach nur meditieren kannst?“ Ja, das kann ich und ich erachte es als ein grosses Privileg, aber so ist das anscheinend: Auch das spirituelle Leben ist nicht gedacht als eine Reise, bei der es darum geht, möglichst wohlbehalten am Ziel anzukommen und unversehrt ins Grab gelegt zu werden. Sondern, wie es einmal jemand schön gesagt hat,“dass wir sozusagen der Quere nach ins Grab geschlittert kommen, total aufgebraucht und vom Leben gezeichnet und zugleich laut bekennend: Mein Gott, was für ein Abenteuer!“

Nun fühle ich mich aber nicht fit fürs Grab – und da schafft sich nun der andere Ton Gehör: Wohl nicht nur auf Grund dieses Kurses, sondern auch im Zusammenhang mit dem kurz davor stattfindenden Fastenkurs, macht sich endlich eine grosse Bereitschaft und Entschiedenheit breit, einige Dinge in der Ernährung umzustellen. Und das beginnt mit der Zubereitung. Und so habe ich tüchtig „geshoppt“: Zuerst ein Buch angeschafft, auf das mich Freunde aufmerksam gemacht haben: „Anständig essen“ ein Selbstversuch von Karin Duve, die sich je zwei Monate biologischer, vegetarischer, veganer und dann noch der „frutarischen“ (nur schon um das kennenzuernen lohnt sich das Buch) Lebensweise aussetzt. Dann habe ich alle Messer geschliffen, dass die Zubereitung der Nahrungsmittel Freude macht, eine ebenso scharfe Raffel gekauft, mit der das Raffeln lustvoll wird und last but not least: einen ganz tollen Mixer, mit dem wir uns die schmackhaftesten Säfte, dazu Milchersatz in Form von Mandel-, Reis- und Hafermilch zubereiten können!
 Also doch „I shop therefore I am?“ Eher „I am und darum kann, darf und muss ich mir auch gewisse Dinge kaufen und gönnen“. Und wie ist das mit dem „Reduce to the Max“?  Vielleicht passt „reduce and relax“ noch besser zu mir, das Andere lebe ich schon genug, wenn bereits in zwei Wochen der nächste Zenkurs ansteht. Aber das ist in zwei Wochen. Heute ist heute und das ist mein Lieblingstag!

Marcel Steiner, Zen-Lehrer

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