28.07.2015 07:34

Einsamkeit und Naturerlebnis

Einfach unterwegs

Nach draussen gehen in die Natur entspricht vielen ganz natürlichen Bedürfnissen. Wir nehmen Abstand von den alltäglichen Dingen, die Distanz verändert unseren Blick und erlaubt uns einen Perspektivenwechsel. Ich mache immer wieder die Erfahrung, dass das Draussen sein körperlich und geistig vitalisiert. In der Natur sind Menschen wacher als in Seminarräumen, gegenwärtiger.

Wenn wir unsere vier Wände verlassen, lassen wir alles zurück, was nicht unbedingt mitgetragen werden muss. Mit kleinem Gepäck, im Gegensatz zu dem, was wir alles besitzen, machen wir uns auf den Weg. Diese Art von Unterwegssein entspricht einer Lebensmetapher. Wir verabschieden vieles, was sich die Menschheit im Laufe ihrer Entwicklung als Annehmlichkeiten erschaffen hat. Wir sind dem lebendigen Gegenüber der Natur ausgesetzt, dem Unvorhersehbaren ausgeliefert. Das nomadische Unterwegssein verstärkt diese Verunsicherung. Die meisten Menschen haben den natürlichen Drang, sich an einem Platz zu installieren – sie müssen sich nach einer Nacht aufraffen, um die Herberge, die Feuerstelle wieder zu verlassen. In diesem steten Loslassen und Verlassen erleben sich viele als in die Welt hinausgeworfen. Dieser Zustand beunruhigt. Im Zurückgeworfen sein auf uns selbst zeigt sich, worauf wir uns verlassen können und worauf nicht. Die Natur ist uns ein sehr direkter und rücksichtsloser Spiegel. Sie erinnert uns daran, dass unser Gehen einmal ein Ende haben wird, dass wir Teil des Kreislaufs von Geburt und Sterben sind. Ich sehe darin die Konfrontation mit der Begrenztheit des eigenen Seins.
Trotz dieser Gefühle kehren viele nach einem Naturaufenthalt wie verzaubert in den Alltag zurück. Die Natur öffnet uns die Augen für normal gewordenes, das Alleinsein lässt uns den Wert der Gemeinschaft neu entdecken. Doch wie lange hält dieser Zustand an? Schliesslich vergessen wir schnell, und die Macht der Gewohnheit ist gross.  Darum rate ich dazu, öfter aufzubrechen und sich dem Unbekannten zu öffnen – sei es auf einer Pilgerreise, auf Wanderexerzitien oder einfach für ein paar Tage in die Natur.

Reto Bühler
(Ausschnitte dieses Textes sind in einem umfassenderen Artikel unter dem Titel „Einfach unterwegs. Zwischen furchteinflössender Einsamkeit und fruchtbringender Begegnung“ im Magazin „Meditation“ 2/15 erschienen.)

Unterwegs mit Reto Bühler:

 

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